… ein paar Gedanken

Die Präsentation eines Gerichtes auf einem Teller bringt mehr zum Ausdruck, als man auf den ersten Blick annehmen würde. Es geht um die Komposition, die Zusammenführung verschiedener einzelner Komponenten. Das Vereinen unterschiedlichster Strukturen, Geschmacksprofile und Konsistenzen, zu einem homogenen Bild, das alles miteinander verbindet, und dabei den Teller, das Porzellan, als unterstützenden Träger nutzt. Und neben der klassischen Erfüllung der Nahrungsaufnahme, auch der indirekten Kommunikation der Küche mit dem Esser dient.

Aber auch unabhängig davon ob man alleine für sich oder für eine weitere Person kocht und anrichtet, stellt ein mit Speisen angerichteter Teller, ein soziokulturelles Ereignis und somit eine Momentaufnahme eines Teils der Gesellschaft dar, die vor allem durch Soziale Medien wie Instagram weitreichende Auswirkungen auf den Fortbestand unseres Konsums oder eine Veränderung hat.

Geübte Augen erkennen sofort, wie motiviert die Küche oder das Küchenteam ist, wie viel Engagement und Profession dahinter steckt oder wie hoch die Wertschätzung beispielsweise bei einem heimischen Dinner ist. Vielleicht schon mal beim ersten Date gekocht? Vor allem in jungen Jahren wälzt man angestrengt Kochbücher, sucht nach aphrodisierenden Kombinationen und versucht Raffinesse und persönliches Talent unter einen Hut zu bekommen. Beim Kochen ebenso wie beim Anrichten der Speisen, wo man sich dabei erwischt, dass plötzlich das Drapieren des Minzblattes unverhältnismäßig viel Aufmerksamkeit bekommt.

Ziehen wir, um das noch weiter zu verdeutlichen, einen zweiten Vergleich hinzu. Holen wir uns doch mal einen Teller in Erinnerung, der uns an der Ausgabe einer Kantine gereicht wurde, und vergleichen wir ihn mit einem Teller, der uns  in einem mittelklasse Restaurant serviert wurde . Zunächst fällt uns wahrscheinlich auf, dass die Speisen im ersten Fall nicht ganz so liebevoll auf dem Teller arrangiert sind, des weiteren, dass, sich die Köpfe hinter dem Gericht über die farbliche Komposition weniger Gedanken gemacht haben und in der Regel üppiger ausfallen  als in einem Restaurant. Natürlich fällt hier auch die Komponente Zeit ins Gewicht und natürlich gibt es auch Ausnahmen, aber ich glaube dieser Vergleich versinnbildlicht was ich ausdrücken möchte; wenn man einen Teller genau betrachtet und ihn nicht nur als ein Vehikel seiner Kohlenhydrate sieht, er vielmehr zum Ausdruck bringen kann. 

Ein Teller ist für die Köchinnen und  Köche zumeist etwas viel emotionaleres als für einen Gast – er zeigt das Know How, die Produkte, die Leidenschaft und das Talent – er versinnbildlicht all die Dinge, die sie tun oder ausdrücken möchten.

Waren sie schon mal dabei, wenn es in einer Küche neues Geschirr gibt? Nicht nur, dass natürlich alle mit dem neuen “Spielzeug” spielen wollen – das logischerweise auch – aber es setzt auch ungeahnte Motivation und Energie frei. Speisen werden, angepasst an Form und Farbe des Tellers, neu zusammengestellt, weiter entwickelt, inspiriert lediglich von einer neuen Oberfläche. Denn die Aufgabe des Tellers als Form ist weiterhin dieselbe – Essen an den Tisch zu bringen.

Aber was genau hat unser Teller denn nun mit unserem Konsumverhalten zu tun? Am besten holen wir uns dafür erneut einen Teller ins Gedächtnis – bleiben aber vielleicht bei einem Kantinenteller. Sagen wir, es gibt Schweinebraten mit Knödeln und Sauerkraut. Jeder hat jetzt wahrscheinlich einen anderen Teller im Kopf, aber was in Summe drauf ist, wird wahrscheinlich sehr ähnlich sein. Als erstes erkennen wir, dass hier etwas ganz deutlich in den Mittelpunkt gerückt ist – und zwar  das Fleisch. Die Sättigungsbeilage schwappt in der Soße umher und das Sauerkraut lässt sich unter dem Schweinebraten nur vermuten. Ernährungsphysiologisch ist das Verhältnis Fleisch zu Sättigungsbeilage und Gemüse eine absolute Katastrophe, zumindest in der Menge, in der es in der Regel auf unseren Tellern landet. Gerade an diesem Beispiel fehlt es dem Teller an Frische, an Vitaminen und Ballaststoffen, die eine Ausgewogenheit mitbringen und dem allgemeinen Wohlbefinden zuträglicher sind. Kulturell betrachtet eine ganz natürliche Entwicklung, bedenkt man den Stellenwert von Fleisch in unserer Gesellschaft in Bezug auf Wohlstand und Verfügbarkeit.

Ein Gedanke, der mich als bewusster Konsument von Fleisch und Flexitarier in einer Gesellschaft, die zunehmend achtsamer  auf den Teller blickt (aber dennoch zu viel Fleisch isst), bewegt, ist der folgende: Wie übersetzt man das Karnivore Dilemma – die Tatsache unseres übermäßigen Fleischkonsums und dessen unmittelbare Folgen auf unseren Planeten – auf dem Teller in ein ansprechendes Ensemble, in dem weniger mehr ist, ohne auf Unverständnis und Argwohn zu stoßen? Also auch Geschmack, und Fülle zu erhalten. Nun könnte man meinen, man packt einfach weniger Tierisches auf den Teller oder ersetzt es durch etwas weiteres Fleischloses; aber hätte es dann noch die gleiche Wertigkeit? 

Was müsste im Gesamtkonzept einer, auf einem Teller angerichteten Speise, aber auch mit den Einzelkomponenten, passieren, damit ihnen auch beim Anblick von  gemäßigtem Fleischanteil und mehr Gemüse das Wasser in den Mundwinkeln zusammen läuft?  Meines Erachtens eine Schlüsselfrage, wenn es darum geht den Fleischkonsum in der breiten Masse der Gesellschaft zu verringern.

Teller-Engeneering

Daran anknüpfend, möchte ich erläutern, wie ein angerichteter Teller im Idealfall entsteht, wie die einzelnen Komponenten einen Teller abwerten oder aufwerten können und welche Prozesse und Gedanken dahinter stecken.

Hierzu habe ich ein kleine Grafik erstellt, um zu zeigen, worum es mir hier geht.

Ein Teller beginnt seine Reise weit vor dem Anrichten – als Köch*in macht man sich weit vorher Gedanken über das, was man letztlich auf dem Teller präsentieren möchte. Neben Gedanken zu Produkten, Geschmack, Auswahl des Geschirrs, der Zubereitungs- und Garmethoden, Präsentation der einzelnen Komponenten und deren Zusammenführung zu einem stimmigen Gericht, ist das gesamte Gericht als Endprodukt auch eine Zusammenführung verschiedener anderer spannender Bereiche. Naturgeschichte, Ernährungsphysiologie, Physik oder Chemie wirken ebenso auf die Prozesse ein, wie beispielsweise Biologie. Ist aber auch, wie eingangs schon erwähnt, ein soziokulturelles Instrument, als Teil einer politischen und ideologischen Darstellung eines Volkes.

Das alles in Einklang zu bringen passiert sehr häufig unbewusst und gesellschaftlich indoktriniert. Ganz ohne Nachzudenken setzen wir verschiedene Lebensmittel in Kombinationen zusammen und positionieren Bestandteile wie Fleisch in zu großen Mengen und in keinem ausgewogenen Verhältnis zum Rest in das Zentrum des Tellers. Um genau hier einen Absprung zu schaffen, die Wertigkeit eines so edlen und teuren Produktes wie Fleisch immer noch den Fokus auf dem Teller zu gewähren, ohne dass es in der Menge ein ganzes Drittel ausfüllt, ist die große Aufgabe,möchte man einen Teller neu denken.

Zu versuchen, Fleisch aus dem Zentrum des Tellers zu bekommen und um vermeintlichen Zaungästen eine größere Wertschätzung zuteil werden zu lassen, muss man ganz am Anfang beginnen eine Kurve zu schlagen, da uns nicht der ausgetrampelte Pfad den besten Weg, sondern lediglich den bisher gegangenen zeigt. Fleisch in Form von rosa gebratenen Steaks, Schmorgerichten oder Wurst sind ohne Frage Lebensmittel, die nicht nur aufgrund ihres realen Preises in den Mittelpunkt gerückt werden dürfen, sondern auch, um die Prozesse dahinter zu würdigen. Prozesse allerdings, die weit vor den Türen der Küchen ablaufen – Aufzucht der Tiere, Tötung,  Schlachtung und Weiterverarbeitung.

Jedoch stellt sich da zum einen die Frage: muss die Wertschätzung und die Fokussierung dieser Produkte immer um die Menge passieren und des weiteren; ist es in einer Post-Karnivoren Welt nicht ebenfalls notwendig, Lebensmittel wie Gemüse und Getreide auf eine bestimmte Art zu verarbeiten und zuzubereiten um sie sowohl kulinarisch als auch handwerklich aufzuwerten damit sie dem fleischigen Pendant auf dem Teller in nichts nachstehen und somit sich der Mittelpunkt des Tellers auf das gesamte Gericht verlagert?  

Wertsteigerung auf dem Teller

Während der Arbeit an diesem Artikel, bin ich auf die Frage gestoßen, wie man denn den Wert des Tellers oder des Gerichts steigern kann, wenn man die teuerste Komponente, in unseren Breitengraden meist Fleisch, minimiert oder gar ersetzt?

In der folgenden Grafik habe ich versucht darzustellen, was alles dazu gehören kann.

Wie man sieht wirken an dieser weit mehr Faktoren auf die Wertigkeit des Tellers ein, als man gemeinhin auf dem ersten Blick meinen würde. Unter anderem natürlich der Teller selbst aber auch das Besteck. Auch viele andere Positionen, wie man in der Abbildung sehen kann.

Ein wichtiger Aspekt ist die Emotionalität der Umgebung, die  positiv oder negativ auf den Ausdruck des Tellers einwirken kann. Beispielsweise ist die emotionale Bindung zu einem Teller Paella, gegessen während eines Spanienurlaubs, eine ganz andere als die, wenn man bei einem Spanier um die Ecke zu Abend isst, selbst wenn es (unter wundersamen Umständen) derselbe Koch wäre.

Viele Kleinigkeiten sind es letztlich, die einen “Otto-Normal-Teller” von einem sauber, mit viel Raffinesse und technischer Virtuosität angerichtetem “Sterne-Teller” unterscheiden. Doch wichtige Punkte, wie die berufliche Ausbildung des gesamten Teams, der Köch*in, des Servicepersonal und die damit einhergehende Expertise über Produkte, Techniken und Servierfähigkeiten, aber auch die Kreativität, machen neben den in den angerichteten Teller eingegangenen Emotionen (umgangssprachlich ‘das gewisse Etwas’ oder ‘die Liebe’) den ganz großen Unterschied. 

Womit ich auch den aktuellen Notstand an kreativer fleischloser oder fleischreduzierter Küche, zumindest in unserem Sprachraum, erklärbar machen möchte. Es fehlt an Verständnis dafür, was auf einem Teller alles passieren kann und darf, vor allem aber, was im Vorfeld alles passieren muss, damit der Teller entstehen kann.dazu gehört. 

Wenn wir es als Gesellschaft weiterhin nicht verstehen wollen, auf was es auf dem Teller wirklich ankommt und wir nicht aufhören Fleisch ein ganzes Drittel des Tellers einzuräumen, werden wir selbst weiterhin einer kreativen, pflanzenbasierten Küche im Weg stehen und den Geschmack von Fleisch weiterhin weniger über die Qualität als über die Verfügbare Menge definieren. Es kann sowohl geschmacklich als auch optisch wesentlich mehr Freude bereiten, wenn Fleisch dezent auf dem Teller daher kommt und somit dem gesamten Gericht würzender weise die Krone aufsetzt, anstatt sich wie ein dickes Kind in ein Planschbecken zu schmeißen und alles andere verdrängt.  

Vielen Dank fürs Lesen!

Vincent

Foto by Vivi D’Angelo

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